Aus
Über die Totale Sonnenfinsternis vom
30. August 1905
(Vorträge des Verienes zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien XLVI.Jahrgang Heft 14. 1906)


Dr. Kostersitz, hier mit seinen Kollegen abgebildet, beobachtete diese Sonnenfinsternis, die am Sonnwendstein nur partiell zu sehen war. Er hielt in Wien 1906 einen Vortrag aus dem die Finsternisbeschreibung von Prof. Schorr stammt.

Professor Schorr war Mitglied der Sternwarte Hamburg. Er leitete die Finsternis-Expedition bei Souk Ahras, das in der Totalitätszone lag.
 
 

 
  ". . . Unsere Spannung steigerte sich aufs höchste. In der einen Hand den elektrischen Druckknopf zur Registrierung des Beginnes der Totalitat, in der anderen eine Schere, um im gleichen Momente den Faden zur Auslösung des Sekundenpendels zu zerschneiden, beobachtete ich das Fortschreiten des Mondes auf der Mattscheibe des 20 m-Rohres, auf der die Sonne als eine Scheibe von 19 cm Durchmesser abgebildet wurde.
Als die Sichel ganz klein geworden war, trat das als "Perlenschnur" bekannte Phänomen ein die Sonnensichel zerfiel, scheinbar in mehrere Stücke; doch wenige Sekunden darauf verschwand auch die letzte Spur des Sonnenlichtes und in diesem Momente bot sich mir auf der Mattscheibe ein Schauspiel dar, wie man es sich herrlicher kaum vorstellen kann. Die eine Hälfte des Mondrandes, hinter der eben die Sonnenscheibe verschwunden war, erschien umgeben von der intensiv leuchtenden himbeerfarbigen Sonnenchromosphare, aus der hunderte von niedrigen Protuberanzen flammenartig emporzüngelten, und fast genau an dem Punkte des letzten Sonnenlichtes erhob sich ein riesiges Protuberanzengebiet, das etwa 2' (Bogenminuten) emporragte und gleichsam vom Sturm zur Seite geweht schien. Leider konnte ich diesem herrlichen Schauspiele, dessen Gesamteindruck durch eine Zeichnung wiederzugeben mir leider versagt ist, nur wenige Sekunden widmen, denn es galt, auf den photographischen Aufnahmen der Korona auch dieses prachtvolle Protuberanzengebiet festzuhalten. Die Aufnahmen folgten nun ganz programmmäßig.
Während der letzten Aufnahme bot sich mir die Möglichkeit, aus dem Zelte hinauszuspringen und die Erscheinung auch mit dem bloßen Auge zu betrachten.
 
 

 

Der Eindruck war überwältigend:
Am graugrünlichen Himmel stand die tiefschwarze Mondscheibe, gleichmäßig rings umgeben von dem silberweißen Strahlenkranze der
Korona, die äußerst intensiv leuchtete, dabei war das Licht derselben aber nicht glänzend, sondern vollkommen matt; aus ihr heraus schossen eine Reihe von grünlichweißen Strahlen, die namentlich nach Süden hin bis zu einer Entfernung von 4-5 Monddurchmessern verfolgt werden konnten. Von Sternen konnte ich nur die intensiv strahlende Venus erkennen. Wundervoll war auch die Färbung des Horizontes, an dem rings herum die prachtvollsten Dämmerungserscheinungen sichtbar waren, die sich scharf gegen den dunklen Himmel abhoben. Der allgemeine Eindruck auf alle auf dem Terrain und in seiner Umgebung anwesenden Menschen war ein gewaltiger; während vor Beginn der Totalität zeitweilig recht laute Stimmen aus der Umgebung zu hören waren, herrschte jetzt lautlose Stille. Doch nur etwa 15-20 Sekunden durfte ich der direkten Beobachtung widmen und mußte dann in das Zelt zuruckeilen, um die noch ausstehenden programmmäßigen photographischen Aufnahmen zu machen. Bei der 6. Aufnahme erschien im selben Momente, als ich die Verschlußklappe des Objektivs öffnen wollte, 3m 33s nach Beginn der Totalität der erste Sonnenstrahl wieder und überflutete alles mit seinem Lichte, das herrliche Schauspiel war zu Ende; ein Freudenruf der versammelten Zuschauer begrüßte die wieder erscheinende Sonne. Freudestrahlend beglückwünschten wir uns gegenseitig und wurden von den Anwesenden beglückwünscht, daß wir diese großartige Naturerscheinung unter so herrlichen und außerordentlich günstigen Umstanden hatten beobachten können."
 



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