Der bekannte österreichische Dichter Adalbert STIFTER beobachtete von seinem Wohnhaus in Wien die letzte in Österreich sichtbare totale Sonnenfinsternis.
Aus dieser Zeit gibt es Aquarelle, die
sich im Bestitz der Universitätssternwarte befinden. Sie zeigen das
von Wolken beeinträchtigte Schauspiel.
Stifter hielt seine Eindrücke
literarisch fest.
Der folgende Auszug stammt aus seiner Beschreibung des Erlebten:
.... Endlich zur vorausgesagten Minute - gleichsam wie von einem unsichtbaren
Engel empfing die Sonne den sanften Todeskuß - ein feiner Streifen
ihres Lichtes wich vor dem Hauche dieses Kusses zurück, der andere
Rand wallte in dem Glase des Sternen- rohres zart und golden fort - "es
kommt", riefen nun auch die, welche bloß mit dampfenden Gläsern,
aber sonst mit freien Augen hinaufschauten - "es kommt" - und mit Spannung
blickte nun alles auf den Fortgang.
Die erste seltsame, fremde Empfindung rieselte nun durch die Herzen,
es war die, daß draußen in der Entfernung von Tausenden und
Millionen Meilen, wohin nie ein Mensch gedrungen, an Körpern, deren
Wesen nie ein Mensch erkannte, nun auf einmal etwas zur selben Sekunde
geschehe, auf die es schon längst der Mensch auf Erden festgesetzt.
Indes nun alle schauten, und man bald dieses, bald jenes Rohr rückte
und stellte und sich auf dies und jenes aufmerksam machte, wuchs das unsichtbare
Dunkel immer mehr und mehr in das schöne Licht der Sonne ein - alle
harrten, die Spannung stieg.
Aber so gewaltig ist die Fülle dieses Lichtmeeres, das von dem
Sonnenkörper niederregnet, daß man auf Erden keinen Mangel fühlte,
die Wolken glänzten fort, das Band des Wassers schimmerte, die Vögel
flogen und kreuzten lustig über den Dächern, die Stephanstürme
warfen ruhig ihre Schatten gegen das funkelnde Dach, über die Brücke
wimmelte das Fahren und Reiten wie sonst, sie ahnten nicht, daß indessen
oben der Balsam des Lebens, das Licht, heimlich wegsieche.
Dennoch, draußen an dem Kahlengebirge und jenseits des Schlosses
Belvedere war es schon, als schliche Finsternis oder vielmehr ein bleigraues
Licht wie ein böses Tier heran, aber es konnte auch Täuschung
sein; auf unserer Warte war es lieb und hell, und Wangen und Angesichter
der Nahestehenden waren klar und freundlich wie immer.
Ein einstimmiges "Ah" aus aller Munde, und dann Totenstille, es war
der Moment, da Gott redete und die Menschen horchten. Hatte uns früher
das allmähliche Erblassen und Einschwinden der Natur gedrückt
und verödet und hatten wir uns das nur fortgehend in einer Art Tod
schwindend gedacht: so wurden wir nun plötzlich aufgeschreckt und
emporgerissen durch die furchtbare Kraft und Gewalt der Bewegung, die da
auf einmal durch den ganzen Himmel lag; Horizontwolken, die wir früher
gefürchtet, halfen das Phänomen erst recht bauen, sie standen
nun wie Riesen auf, von ihrem Scheitel rann ein fürchterliches Rot,
und in tiefem, kaltem, schwerem Blau wölbten sie sich unter und drückten
den Horizont. Nebelbänke, die schon lange am äußersten
Erdsaume gequollen und bloß mißfärbig gewesen waren, machten
sich nun geltend und schauderten in einem zarten, furchtbaren Glanze, der
sie überlief. Farben, die nie ein Auge gesehen, schweiften durch den
Himmel. Der Mond stand mitten in der Sonne, aber nicht mehr als schwarze
Scheibe, sondern gleichsam halb transparent wie mit einem leichten Stahlschimmer
überlaufen, rings um ihn kein Sonnenrand, sondern ein wundervoller,
schöner Kreis von Schimmer, bläulich, rötlich, in Strahlen
auseinanderbrechend, nicht anders, als gösse die oben stehende Sonne
ihre Lichtflut auf die Mondeskugel nieder, daß es rings auseinanderspritzte.
Das Holdeste, was ich je an Lichtwirkung sah! Draußen, weit über
das Marchfeld hin, lag schief eine lange, spitze Lichtpyramide gräßlich
gelb, in Schwefelfarbe flammend und unnatürlich blau gesäumt;
es war die jenseits des Schattens beleuchtete Atmosphäre, aber nie
schien ein Licht so wenig irdisch und so furchtbar, und von ihm floß
das aus, mittelst dessen wir sahen. Das Phantom der Stephanskirche hing
in der Luft, die andere Stadt war ein Schatten, alles rasseln hatte aufgehört,
.... jedes Auge schaute zum Himmel ... nie, nie werde ich jene zwei Minuten
vergessen - es war die Ohnmacht eines riesenhaften Körpers, unserer
Erde. - .....
Aber wie alles in der Schöpfung sein rechtes Maß hat,
so auch diese Erscheinung ... Gerade da die Menschen anfingen, ihren Empfindungen
Wort zu geben ... gerade in diesen Momente hörte es auf: mit eins
war die Jenseitswelt verschwunden und die hiesige wieder da, ein einziger
Lichttropfen quoll am oberen Rande wie ein weißschmelzendes Metall
hervor, und wir hatten unsere Welt wieder ... die Dinge warfen wieder Schatten,
das Wasser glänzte, die Bäume waren grün, wir sahen uns
in die Augen - siegreich kam Strahl an Strahl .... das Fahren und Lärmen
begann wieder, selbst die Tiere empfanden es; die Pferde wieherten und
die Sperlinge auf dem Dache begannen ein Freudengeschrei, so grell und
närrisch, wie sie es gewöhnlich tun, wenn sie sehr aufgeregt
sind, und die Schwalben schossen blitzend und kreuzend , hinauf, hinab
in der Luft umher ....
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