Die Sonnenfinsternis vom 11. August 1842 über Wien
nach Rudolf v. Alt



Der bekannte österreichische Dichter Adalbert STIFTER beobachtete von seinem Wohnhaus in Wien die letzte in Österreich sichtbare totale Sonnenfinsternis.

Aus dieser Zeit gibt es Aquarelle, die sich im Bestitz der Universitätssternwarte befinden. Sie zeigen das von Wolken beeinträchtigte Schauspiel.
Stifter hielt seine Eindrücke literarisch fest.

Der folgende Auszug stammt aus seiner Beschreibung des Erlebten:

Die Sonnenfinsternis vom 8. Juli 1842

 
.... Endlich zur vorausgesagten Minute - gleichsam wie von einem unsichtbaren Engel empfing die Sonne den sanften Todeskuß - ein feiner Streifen ihres Lichtes wich vor dem Hauche dieses Kusses zurück, der andere Rand wallte in dem Glase des Sternen- rohres zart und golden fort - "es kommt", riefen nun auch die, welche bloß mit dampfenden Gläsern, aber sonst mit freien Augen hinaufschauten - "es kommt" - und mit Spannung blickte nun alles auf den Fortgang.
Die erste seltsame, fremde Empfindung rieselte nun durch die Herzen, es war die, daß draußen in der Entfernung von Tausenden und Millionen Meilen, wohin nie ein Mensch gedrungen, an Körpern, deren Wesen nie ein Mensch erkannte, nun auf einmal etwas zur selben Sekunde geschehe, auf die es schon längst der Mensch auf Erden festgesetzt. Indes nun alle schauten, und man bald dieses, bald jenes Rohr rückte und stellte und sich auf dies und jenes aufmerksam machte, wuchs das unsichtbare Dunkel immer mehr und mehr in das schöne Licht der Sonne ein - alle harrten, die Spannung stieg.
Aber so gewaltig ist die Fülle dieses Lichtmeeres, das von dem Sonnenkörper niederregnet, daß man auf Erden keinen Mangel fühlte, die Wolken glänzten fort, das Band des Wassers schimmerte, die Vögel flogen und kreuzten lustig über den Dächern, die Stephanstürme warfen ruhig ihre Schatten gegen das funkelnde Dach, über die Brücke wimmelte das Fahren und Reiten wie sonst, sie ahnten nicht, daß indessen oben der Balsam des Lebens, das Licht, heimlich wegsieche.
Dennoch, draußen an dem Kahlengebirge und jenseits des Schlosses Belvedere war es schon, als schliche Finsternis oder vielmehr ein bleigraues Licht wie ein böses Tier heran, aber es konnte auch Täuschung sein; auf unserer Warte war es lieb und hell, und Wangen und Angesichter der Nahestehenden waren klar und freundlich wie immer.
 
 Seltsam war es, daß dies unheimliche, klumpenhafte, tiefschwarze vorrückende Ding, das langsam die Sonne wegfraß, unser Mond sein sollte, der schöne, sanfte Mond, der sonst die Nächte so florig silbern beglänzte; aber doch war er es, und im Sternenrohr erschienen auch seine Ränder mit Zacken und Wulsten besetzt, den furchtbaren Bergen, die sich auf dem uns so freundlich lächelnden Runde türmen. 
Endlich wurden auch auf Erden die Wirkungen sichtbar und immer mehr, je schmäler die am Himmel glühende Sichel wurde. Der Fluß schimmerte nicht mehr, sondern war ein taftgraues Band, matte Schatten lagen umher, die Schwalben wurden unruhig, der schöne, sanfte Glanz des Himmels erlosch, als liefe er von einem Hauche matt an, ein kühles Lüftchen hob sich und stieß gegen uns, über den Auen starrte ein unbeschreiblich seltsames, aber bleischweres Licht, über den Wäldern war mit dem Lichterspiele die Beweglichkeit verschwunden, und Ruhe lag auf ihnen, aber nicht die des Schlummers, sondern die der Ohnmacht und immer fahler goß sich's über die Landschaft, und diese wurde immer starrer. 
Die Schatten unserer Gestalten legten sich leer und inhaltslos gegen das Gemäuer, die Gesichter wurden aschgrau. Erschütternd war dies allmähliche Sterben mitten in der noch vor wenigen Minuten herrschenden Frische des Morgens. 

 
 Wir hatten uns das Eindämmern wie etwa ein Abendwerden vorgestellt, nur ohne Abendröte; wie geisterhaft aber ein Abendwerden ohne Abendröte sei, hatten wir uns nicht vorgestellt, aber auch außerdem war dies Dämmern ein ganz anderes, es war ein lastend unheimliches Entfremden unserer Natur. Gegen Südost lag eine fremde gelbrote Finsternis, und die Berge und selbst das Belvedere wurden von ihr eingetrunken. Die Stadt sank zu unseren Füßen immer tiefer wie ein wesenloses Schattenspiel hinab, das Fahren und Gehen und Reiten über die Brücke geschah, als sähe man es in einem schwarzen Spiegel - die Spannung stieg aufs höchste. Einen Blick tat ich noch in das Sternrohr, er war der letzte; so schmal, wie mit der Schneide eines Federmessers in das Dunkel geritzt, stand nur mehr die glühende Sichel da, jeden Augenblick zum Erlöschen, und wie ich das freie Auge hob, sah ich auch, daß bereits alle andern die Sonnengläser weggetan und bloßen Auges hinaufschauten - sie hatten auch keines mehr nötig. 
Denn nicht anders als wie der letzte Funke eines erlöschenden Dochtes schmolz eben auch der letzte Sonnenfunken weg, wahrscheinlich durch die Schlucht zwischen zwei Mondbergen zurück - es war ein ordentlich trauriger Augenblick - deckend stand nun Scheibe auf Scheibe -, und dieser Moment war es eigentlich, der wahrhaft herzzermalmend wirkte. 
 
 
 
Das hatte keiner geahnt.

Ein einstimmiges "Ah" aus aller Munde, und dann Totenstille, es war der Moment, da Gott redete und die Menschen horchten. Hatte uns früher das allmähliche Erblassen und Einschwinden der Natur gedrückt und verödet und hatten wir uns das nur fortgehend in einer Art Tod schwindend gedacht: so wurden wir nun plötzlich aufgeschreckt und emporgerissen durch die furchtbare Kraft und Gewalt der Bewegung, die da auf einmal durch den ganzen Himmel lag; Horizontwolken, die wir früher gefürchtet, halfen das Phänomen erst recht bauen, sie standen nun wie Riesen auf, von ihrem Scheitel rann ein fürchterliches Rot, und in tiefem, kaltem, schwerem Blau wölbten sie sich unter und drückten den Horizont. Nebelbänke, die schon lange am äußersten Erdsaume gequollen und bloß mißfärbig gewesen waren, machten sich nun geltend und schauderten in einem zarten, furchtbaren Glanze, der sie überlief. Farben, die nie ein Auge gesehen, schweiften durch den Himmel. Der Mond stand mitten in der Sonne, aber nicht mehr als schwarze Scheibe, sondern gleichsam halb transparent wie mit einem leichten Stahlschimmer überlaufen, rings um ihn kein Sonnenrand, sondern ein wundervoller, schöner Kreis von Schimmer, bläulich, rötlich, in Strahlen auseinanderbrechend, nicht anders, als gösse die oben stehende Sonne ihre Lichtflut auf die Mondeskugel nieder, daß es rings auseinanderspritzte. Das Holdeste, was ich je an Lichtwirkung sah! Draußen, weit über das Marchfeld hin, lag schief eine lange, spitze Lichtpyramide gräßlich gelb, in Schwefelfarbe flammend und unnatürlich blau gesäumt; es war die jenseits des Schattens beleuchtete Atmosphäre, aber nie schien ein Licht so wenig irdisch und so furchtbar, und von ihm floß das aus, mittelst dessen wir sahen. Das Phantom der Stephanskirche hing in der Luft, die andere Stadt war ein Schatten, alles rasseln hatte aufgehört, .... jedes Auge schaute zum Himmel ... nie, nie werde ich jene zwei Minuten vergessen - es war die Ohnmacht eines riesenhaften Körpers, unserer Erde. - .....
Aber  wie alles in der Schöpfung sein rechtes Maß hat, so auch diese Erscheinung ... Gerade da die Menschen anfingen, ihren Empfindungen Wort zu geben ... gerade in diesen Momente hörte es auf: mit eins war die Jenseitswelt verschwunden und die hiesige wieder da, ein einziger Lichttropfen quoll am oberen Rande wie ein weißschmelzendes Metall hervor, und wir hatten unsere Welt wieder ... die Dinge warfen wieder Schatten, das Wasser glänzte, die Bäume waren grün, wir sahen uns in die Augen - siegreich kam Strahl an Strahl .... das Fahren und Lärmen begann wieder, selbst die Tiere empfanden es; die Pferde wieherten und die Sperlinge auf dem Dache begannen ein Freudengeschrei, so grell und närrisch, wie sie es gewöhnlich tun, wenn sie sehr aufgeregt sind, und die Schwalben schossen blitzend und kreuzend , hinauf, hinab in der Luft umher ....
 

 
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